Von Renate Lück

Anna P. hat ihr ganzes Leben lang gearbeitet, aber immer für so wenig Lohn, dass ihre Rente für Sonderausgaben nicht reicht. „Nachbarn in Not“ springt jetzt ein, damit sie zur Reha fahren konnte.

Die 70-jährige ist geschieden und lebt in einer kleinen, günstigen Wohnung. Obwohl sie sehr bescheiden ist, reicht die Rente nicht für die alltäglichen Ausgaben. Deshalb bekommt sie zusätzlich Sozialhilfe vom Landratsamt. Dass sie sich immer um Menschen innerhalb und außerhalb der Familie gekümmert hat, half ihr jetzt wenig. Sie konnte deshalb nicht einmal mehr ihr ehrenamtliches Engagement fortsetzen, für das sie eine kleine Aufwandsentschädigung erhielt. Da der Bruch kompliziert ist, sollte sie zur Reha fahren. Doch dafür brauchte sie einen Badeanzug und sportliche Kleidung, was in ihrem Kleiderschrank nicht zu finden war. Vorsichtig frage sie im Sozialamt an, weil sie niemandem etwas wegnehmen mochte. Aber dort gibt es keinen Zuschuss für Kleidung. Also bat die betreuende Sozialarbeiterin „Nachbarn in Not“ um Hilfe. Und die Hilfsorganisation ließ  Anna P. nicht im Regen stehen. So schaut die Rentnerin den Festtagen jetzt etwas fröhlicher entgegen. 



Renate Lück Sindelfingen, den 20. Sept. 2022
Friedrich-Ebert-Str. 17/042,71067 Sindelfingen, Telefon (07031-) 809388
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engagiert haben“, erklärte der OB. Die in
Leipzig geborene Medizinerin kam mit ihrem
Mann 1974 nach Sindelfingen und gründete
zunächst zusammen mit Heide Müller und
Felicitas Röntgen einen Besuchsdienst für
einsame Menschen. 1983 wurde zusammen
mit der SZ/BZ die Hilfsorganisation
„Nachbarn in Not“ gegründet, die drei Jahre
später ein Verein wurde. Durch den
Weihnachtsbasar und den
Weihnachtsbaumverkauf der Firma Walker
kam Geld in die Kasse, mit dem man
Menschen helfen konnte, die bei staatlichen
Stellen durchs Raster fielen. Die Sozialämter
meldeten diese begründeten Notfälle dem
Verein, dessen Ziele von der Stadt
wohlwollend unterstützt wurden, denn er
handelte nach dem Motto „schnell und
unbürokratische Hilfe zur Selbsthilfe“. Die
eingehenden Spendengelder erreichten
direkt die Bedürftigen und die Sindelfinger
Zeitung berichtete über die Spendenvergabe.
Der Verein mit seinen 27 Mitgliedern hat seit
Bestehen fünf Millionen Euro eingenommen
und weitergeleitet, besondern in
Sindelfingen, aber auch in Kreisgemeinden.

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Waren es 1983 noch hundert Fälle, so
erhöhte sich die Zahl 2021 auf 2.300.
Insgesamt wurde 7.000 Menschen geholfen.
„Das ist nur möglich, wenn alle mithelfen.
Frau Dr. Seidel hat dazu beigetragen, dass
viele Helfer gefunden wurden. ‚Nachbarn in
Not‘ wurde Teil ihres Alltags und zu ihrer
Lebensaufgabe. Wie viel Zeit und Herzblut
sie in den 39 Jahren eingebracht hat trotz der
Sorge um Kinder und Enkel! Ohne ihr
Engagement wäre das nicht denkbar. Mit
ihrer herzlichen Persönlichkeit gelang es ihr,
neue Spender zu finden zu halten. Die Stadt
braucht solche Menschen“, sagte Dr.
Vöhringer.
2001 erhielt Dr. Roswitha Seidel die
Ehrennadel der Stadt, 2010 das
Bundesverdienstkreuz am Bande und nun die
Ehrenplakette der Stadt. „Sie setzen sich ein,
machen aber kein Aufhebens um sich. Sie
haben Maßstäbe gesetzt und sind Vorbild für
andere. ‚Nachbarn in Not’ist eine wichtige
Stütze in Sindelfingen“, sagte der
Oberbürgermeister und dankte auch Prof. Dr.
Wolfgang Seidel dafür, dass er seine Frau
unterstützte, „denn ohne Familie geht es

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nicht.“
Jürgen Haar, Chefredakteur der SZ/BZ und
seit Kurzem gewählter Vorsitzender der
Hilfsorganisation, beglückwünschte seine
Vorgängerin für diese Auszeichnung: „Du
hast sie verdient! Wir freuen uns, dass du sie
annimmst.“ Und er ergänzte: „Was ihr auf die
Beine gestellt habt, ist enorm. Es ist dein
Verdienst, dass du die Menschen motiviert
hast – Carmen Bühl, Biggi Haug, Peter
Heinkele, Doris Martini und andere.“ Dann
plauderte er aus dem Nähkästchen, wie Dr.
Seidel ihn herumgekriegt hat, zu kandidieren:
„Du hast gesagt, es ist nicht viel Arbeit. Aber
nur, weil die Leute, die heute hinten sitzen,
die Arbeit machen.“ Er fürchte, dass
„Nachbarn in Not“ in nächster Zeit noch mehr
gebraucht werde, nachdem er sich im
Sozialamt und bei der Schuldnerberatung
informierte. Er weiß aber auch, „dass es in
der Stadt großartige Menschen gibt, die
‚Nachbarn in Not‘ unterstützen mit großen
und mit kleinen Beträgen. Es ist wichtig, dass
wir wahrgenommen werden und im Gespräch
bleiben und Menschen im Hinterkopf haben,
wenn sie runde Geburtstag feiern.“ Er

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berichtete, dass der Verein 9-Euro-Tickets
gekauft habe für Menschen, die sich keine
Fahrt nach Stuttgart leisten können. „Dieser
Geist bei ‚Nachbarn in Not‘ ist großartig.
Dafür danke ich dir herzlich.“ Da sie sich
nicht gern fotografieren lässt, überreichte ihr
ein Gemälde von Rainer Simon, der das NiN-
Symbol hinzufügte, damit sie sich immer
daran erinnere.
Die Geehrte dankte dem Oberbürgermeister
und der Crew im Rathaus für die lange
Zusammenarbeit und sagte: „Ich bin stolz auf

Von Renate Lück


Die Corona-Pandemie zeigt es überdeutlich:
Hilfsorganisationen wie „Nachbarn in Not“
sind für bedürftige Menschen eine große
Stütze. Deshalb sind die Ehrenamtlichen bei
„Nachbarn in Not“ dankbar, dass die
Hilfsbereitschaft der Menschen größer ist
denn je.
Der neue Kassenwart Peter Heinkele staunte
nicht schlecht: 2020 wurden 268.609 Euro an
Spenden für die Hilfsorganisation überwiesen,
das sind 32 Prozent mehr als 2019. Dazu
kamen zwei Großspenden und der Erlös des
„Wintermarkt-Ersatzes“, was die
Gesamteinnahmen 297.077 Euro bedeutet.
Heinkele hatte befürchtet, dass wegen
Corona die Spendenbereitschaft eher
rückläufig sein könnte.
2147 Spender
Aber es waren auch mehr Personen – 2.147
insgesamt, die sich gedacht hatten, dass es
durch die Pandemie noch mehr Menschen

schlechter geht als sonst. „Corona hat zwar
das Leben vieler beeinträchtigt, aber
gleichsam auch eine enorme Solidarität
ausgelöst. Nur so erklärt es sich für mich,
dass die Zahl der spendenwilligen Mitbürger
um neun Prozent gestiegen ist“, schreibt die
Vorsitzende Dr. Roswitha Seidel in ihrem
Jahresbericht.
Bei der Mitgliederversammlung bestätigte
Geschäftsführerin Biggi Haug, bei der alle
Anträge auf Unterstützung ankommen, dass
viel mehr Menschen unterstützt wurden als
üblich. 45 Anträge hatten dabei direkt mit
Corona zu tun. Ein Beispiel dazu steht im
Jahresbericht des Vereins: In einer
fünfköpfigen Familie arbeitete der Vater
Vollzeit in der Gastronomie und die Mutters
putzte abends dort. Die Kinder hatten
zusammen einen Laptop für die
Hausaufgaben. Als Corona kam, verlor die
Mutter ihre Arbeitsstelle und der Vater wurde
in Kurzarbeit geschickt. Die Kinder brauchten
nun fürs Homeschooling drei Computer, denn
sie mussten jeweils in ihren Klassen am
Online-Unterricht teilnehmen. „Nimmt man
daran nicht teil, wird dies mit einer

schlechten Note bewertet. Ausreden lassen
die wenigsten Lehrer gelten“, weiß Biggi
Haug, deren Sohn gerade mit der Schule
fertig ist.
Und dies ist nicht der einzige Fall, bei dem
die Eltern an sich und dem System zweifeln,
nachdem sie bis jetzt stolz darauf waren,
ihren Kindern zu zeigen, wie wichtig es ist, im
Leben zu lernen und zu arbeiten, damit man
sich seine Wünsche erfüllen kann. Aber die
Notlage der Menschen wegen Corona sitzt
teilweise noch tiefer. „Diesmal geht es nicht
um Waschmaschinen, sondern um
Lebensmittel. Wir hatten so viele neue
Antragsteller wie niemals zuvor. Und das hat
sich bis heute nicht geändert“, berichtet Biggi
Haug.
Im Ganzen konnte die Hilfsorganisation 1.634
Menschen mit 184.440 Euro unterstützen.
„Die Summe unserer Hilfestellungen stieg
damit seit Beginn der Aktion im Jahr 1983 auf
4,6 Millionen Euro“, zieht die die Vorsitzende
Dr. Roswitha Seidel Bilanz. Der Dezember ist
jeweils der einträglichste Monat im Jahr,
weshalb Peter Heikele hofft, dass zusammen
mit dem Überschuss aus dem Jahr 2020 die

Spenden für 2021 ausreichen werden, ohne
dass auf das Stiftungskapital zurückgegriffen
werden muss.
Einige bekannte Aktionen, deren Erlöse in der
Vergangenheit „Nachbarn in Not§ zugute
kamen, wie das Erbseneintopfessen der
Redakteure, der Winterbasar und auch einige
Straßenfeste, fielen wegen Corona aus. Aber
die beiden Hobby-Künstlerinnen Lisa Polz und
Gabi Reidelbach wollten ihre Holzsachen
doch unter die Leute bringen und starteten
einen Privatverkauf mit Anmeldung und
Corona-konformem Abstand. Der Rest ging
dann noch beim Weihnachtsbaumverkauf bei
der Firma Walker weg. Da dieses Jahr der
Basar wieder ausfällt, grübeln sie schon über
etwas Ähnliches.
Spenden kamen aber auch vom Rotary-Club,
dem Mundschutzverkauf im Rathaus und der
Apotheke Seidel, verschiedenen Firmen sowie
von Jubiläen und runden Geburtstagen. Die
Vorsitzende dankte allen, die sich für das
Gelingen der Arbeit einsetzen: ihrer
Stellvertreterin Carmen Bühl, der
Geschäftsführerin Biggi Haug sowie den
Verantwortlichen für die Finanzen PeterHeinkele und Doris Martini. Markus und Nikol
Döttling posten Berichte auf Facebook und
stellen Spendenboxen auf. Hans-Jürgen Pöss
hilft immer, wo es nötig ist. Christine Jourdan
im Sozialamt kümmert sich auch in den
Ferien um Hilfsbedürftige.
Neue Mitglieder der Hilfsorganistation sind
seit der Mitgliederversammlung Gabi
Reidelbach und SZ/BZ-Verleger Dr. Christian
Röhm.

Die Rente reicht nicht für eine Sonderausgabe